Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Beitrag meines Vorredners kann ich zunächst einmal nur feststellen: Er hat all das, was der Kollege Hoyer zum ungarischen Mediengesetz ausgeführt hat und was ich Wort für Wort unterstreiche, entweder nicht gehört, oder er ist völlig anderer Meinung.
Was dann die Freundschaft anbelangt, so hat einmal ein wichtiger bayerischer Ministerpräsident gesagt: Es geht immer auch um die Tapferkeit vor dem Freund. – Genau darum geht es: dass man auch unter Freunden in kritischen Fragen offen und solidarisch miteinander redet, statt kritikwürdige Punkte unter den Teppich zu kehren.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Miteinander, nicht übereinander!)
Dass wir diese Debatte führen, hat auch damit zu tun, dass fast alle Journalistinnen und Journalisten in Deutschland, viele aus der Kultur, aber auch aus anderen Bereichen, seit dem 23. Dezember dieses ungarische Gesetz kritisieren, und das auch in vielen europäischen Ländern. Aus Sicht meiner Fraktion ist es unsere Pflicht, das auch in unserem Parlament zum Thema zu machen. Genau das machen wir heute.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich war mit dem Kollegen Hofmann in Budapest. Wir haben mit Regierungsvertretern, Abgeordneten und Medienvertretern gesprochen. Er hat bereits alles gesagt. Ich brauche das nicht zu wiederholen. Insofern spare ich wieder etwas seiner ein bisschen überzogenen Redezeit ein.Es ist aber wichtig, dass wir das Gesetz auch im Kontext sehen. Die Regierung wird von 43 Prozent der Wahlberechtigten getragen. Sie hat 53 Prozent der Stimmen und 68 Prozent der Mandate, beansprucht aber 100 Prozent der Macht. Das geht in keinem europäischen Land. Das geht nirgendwo.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Völliger Quatsch!)
Was die Kolleginnen und Kollegen von der CSU angeht, die das in besonderer Weise verteidigen, kann ich nur sagen: Glück gehabt, Deutschland! Auch nachdem die CSU in Bayern mal eine Zweidrittelmehrheit hatte, funktioniert die Demokratie. (Zuruf von der SPD: Überwiegend!) – Überwiegend, okay. – Wir sind in Sorge, dass angesichts der Maßnahmen dieser Mehrheit die Demokratie in Ungarn auf Dauer nicht mehr funktioniert. Die Demokratie bemisst sich nämlich nicht nur an der Möglichkeit, als Regierung etwas gestalten zu können, sondern auch an der Möglichkeit, als Opposition und Minderheit Meinungen zu vertreten.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
All das ist wirklich besorgniserregend. Auch wir mussten ja unsere eigene demokratische Tradition erst lernen und entwickeln. Selbstverständlich gibt es auch bei uns zu Recht bei Regierungswechseln Veränderungen im Personalbereich. Aber wir können immer noch auf die Loyalität und Gesetzestreue derjenigen bauen, die bei uns in der öffentlichen Verwaltung und den Regierungsapparaten tätig sind.
(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Heißt das, dass es anderswo nicht möglich ist?)
Aber Gesetze zu machen, aufgrund derer man selbst die weniger wichtigen Referenten oder Referentinnen mit einer zweimonatigen Kündigungsfrist ohne Angabe von Gründen einfach auswechseln kann, hat nichts mit einer demokratischen Kultur zu tun, die von Vielfalt lebt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sagen Sie einmal etwas zu den USA! Mittwochmorgen nach der Wahl!)
Es ist auch ein bisschen besorgniserregend, dass in einem Parlament – wir kritisieren schließlich kein Land, sondern eine politische Partei – in sieben Monaten 120 Gesetze teilweise nach dem Verfahren verabschiedet wurden, das der Kollege Hofmann beschrieben hat. Es gab acht Verfassungsänderungen, darunter eine, nach der das Verfassungsgericht seiner Aufgabe nicht mehr nachkommen darf. Nämlich: Gesetze auf ihre Verfassungskonformität zu prüfen und gegebenenfalls Parlament und Regierung zu erklären, dass sie einen Gesetzentwurf vorgelegt oder verabschiedet haben, der nicht verfassungsgemäß ist. Das haben die Parlamentsmehrheit und die Regierung in Ungarn so gemacht. Auch dazu müssen wir etwas sagen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wir befinden uns in Europa – das ist wichtig – in einer demokratischen Gemeinschaft. Wir diskutieren hier als Europäerinnen und Europäer. Es war richtig, dass wir, als die Sozialdemokraten in der Slowakei mit einer populistischen Partei koaliert haben,
(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber euphemistisch umschrieben!)
nicht gesagt haben: „Wartet ab“, sondern diesen Sozialdemokraten das Stimmrecht in der sozialdemokratischen Familie entzogen haben, weil wir Sorgen haben. Es ist gut, dass wir nun das in Ungarn verabschiedete Mediengesetz zumindest kritisieren, weil wir Sorgen haben.
(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Wie haben Sie sich denn gegenüber Österreich verhalten?)
Das drücken wir heute aus. Deshalb ist diese Debatte so gut und so wichtig. Vielen Dank.
Rede von Axel Schäfer zum ungarischen Mediengesetz
