Arbeitnehmerfreizügigkeit am 1. Mai/Stand der Umsetzung Branchenmindestlöhne

Gerd Bollmann Mitglied des Deutschen Bundestages, Mitglied des Umweltausschusses

Liebe Genossinnen und Genossen,
im Vorfeld der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Dienstleistungsfreiheit zum 01. Mai 2011 möchten wir Euch noch einmal auf die Positionierung der SPD-Bundestagsfraktion und auf den Stand der Umsetzung der im Vermittlungsausschuss verhandelten Mindestlöhne aufmerksam machen.
Europa rückt ein Stück näher zusammen. Zum 30. April 2011 enden die Übergangsfristen der Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit und auch der Dienstleistungsfreiheit in bisher beschränkten Branchen für die Länder Mittel- und Osteuropas, die 2004 der Europäischen Union beigetreten waren. Damit wird für die Bürgerinnen und Bürger dieser Länder eine der fundamentalen Freiheiten der Europäischen Union voll wirksam: Die Freiheit, in jedem Land der Union leben und arbeiten zu können mit den gleichen Rechten und Pflichten. Diese Freiheit bietet eine große Chance für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands und Europas. Sie muss aber politisch begleitet und gestaltet werden. Insbesondere für den Bereich der grenzüberschreitenden Arbeitnehmerüberlassung sind flankierende Regelungen dringend erforderlich. Wir müssen allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland Sicherheit und Schutz bieten und auch für die entsandten Beschäftigten faire Arbeits- und Lohnbedingungen sicherstellen. Nur so können Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt verhindert werden.
Wie sich die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Dienstleistungsfreiheit für die osteuropäischen Länder auf den deutschen Arbeitsmarkt auswirken werden, ist in weiten Teilen unklar. Sofern die neuen Mitbürger eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen, führt dies in tarifgebundenen Betrieben kaum zu Verdrängungseffekten. Dennoch sind in der Bevölkerung Ängste vor einer Zunahme von Einwanderung aus den mittel- und osteuropäischen Ländern vorhanden, insbesondere Angst vor Lohndumping. Es muss klar sein, dass die Maxime gilt: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Die Erfahrungen aus den anderen EU-Staaten, die die Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht eingeschränkt hatten, zeigen, dass klare Regeln zu Lohn- und Arbeitsbedingungen wichtig sind, um Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt und Fremdenfeindlichkeit zu verhindern.
Unsere Forderung bleibt daher ganz klar: Der allgemeine gesetzliche Mindestlohn ist der beste Schutz gegen Lohndumping. Solange die politischen Mehrheitsverhältnisse die Umsetzung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns nicht möglich machen, setzen wir uns dafür ein, dass Mindestlöhne für einzelne Branchen über das Arbeitnehmer-Entsendesetz für allgemeinverbindlich erklärt werden.
Im Vermittlungsverfahren Anfang des Jahres haben wir neben der Neuberechnung der Regelsätze und dem Bildungs- und Teilhabepaket auch eine politische Vereinbarung zur Umsetzung von Mindestlöhnen für die Leiharbeit, für die Weiterbildungsbranche und für Sicherheitsdienstleistungen getroffen. Da uns zahlreiche Nachfragen zur Umsetzung erreicht haben, möchten wir Euch hiermit eine Information zum Stand der Umsetzung geben:
1) Mindestlohn für die Leiharbeit
Für die knapp 1 Mio. Leiharbeitnehmer in Deutschland wurde ab dem 1. Mai 2011 im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ein echter Mindestlohn vereinbart. Die tariflich vereinbarten Mindestlohntarifverträge sind künftig die Grundlage für die absolute Lohnuntergrenze (ab 1. Mai 2011: 7,79 Euro/West und 6,89 Euro/Ost), diese gilt sowohl für die verleihfreie Zeit als auch für die Zeit des Einsatzes beim entleihenden Unternehmen. Damit verhindern wir Lohndumping zu Lasten von Leiharbeitnehmern und geben ihnen ein Stück Planbarkeit des Lebens zurück. Jeder Beschäftigte in der Leiharbeitsbranche kann in Zukunft damit rechnen, dass er mindestens dieses vereinbarte Mindestentgelt bekommt.
Am 24. März wurde im Deutschen Bundestag in 2./3. Lesung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – „Lex Schlecker“ beraten. Mit diesem Gesetz ist auch der Mindestlohn für die Leiharbeit gesetzlich im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verankert worden. Die SPD-Fraktion hat dem Änderungsantrag zum Mindestlohn zugestimmt. Im Gesetzentwurf insgesamt sucht man jedoch vergebens wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung von Missbrauch in der Leiharbeit. Es fehlen klare Regelungen für equal pay und gegen den Austausch von Stammbelegschaften durch geringer entlohnte und schlechter abgesicherte Beschäftigte. Dafür müssen wir uns gemeinsam mit den Gewerkschaften weiterhin stark machen.
Die Bundesregierung steht noch in der Pflicht, die Verordnung für die Lohnuntergrenze zu erlassen und die Kontroll- und Sanktionsmechanismen für den Mindestlohn in der Leiharbeit gesetzlich umzusetzen. Deswegen haben wir die Bundesregierung in unserem Entschließungsantrag zum Gesetzentwurf aufgefordert, diese schnellstmöglich gesetzlich zu regeln.
2) Mindestlohn für die Aus- und Weiterbildungsbranche
Für die rund 22.500 Beschäftigen in der Aus- und Weiterbildungsbranche wurde ein Mindestlohn vereinbart. Der im Mai 2009 zwischen Verdi, GEW und der Zweckgemeinschaft von Mitgliedsunternehmen des Bundesverbandes der Träger beruflicher Bildung e.V. (BBB)vereinbarte Mindestlohntarifvertrag soll über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für allgemeinverbindlich erklärt werden. So wird endlich Lohndumping in der Branche verhindert und ein notwendiger Qualitätsstandard für die Weiterbildung und Qualifizierung von Arbeitslosen oder von der Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen eingeführt. Wir stärken damit die Qualität der aktiven Arbeitsmarktpolitik und setzen notwendige Mindeststandards für die Beschäftigten. Für die Umsetzung dieses Mindestlohns ist ein neuer Antrag der Branche erforderlich. Die Bundesregierung hatte den letzten Antrag mit dem Verweis auf eine zu geringe Repräsentativität abgelehnt. Nach unseren Informationen aus der Branche gibt es arbeitgeberseitige Zusagen, dieser Begründung für den nächsten Antrag vorzubeugen. Einer baldigen Antragstellung und damit einem zügigen Verfahren zur Allgemeinverbindlichkeit des Mindestlohns sollte damit nichts mehr im Wege stehen.
3) Mindestlohn für Sicherheitsdienstleistungen Wir haben Mindestlöhne für die 170.000 Beschäftigen der Sicherheitsdienstleistungsbranche durchgesetzt. Der Mindestlohntarifvertrag zwischen Verdi und dem Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen e.V. (BDWS) wird über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für allgemeinverbindlich erklärt. Vor dem Hintergrund der Arbeitnehmerfreizügigkeit ab dem 1. Mai 2011 verhindern wir damit Lohndumping in einer Branche, die sonst von Billiganbietern aus Osteuropa, die nicht selten gerade einmal zwei Euro pro Stunde bezahlen, bedroht wäre.
Am 18. März hat der Tarifausschuss dem Antrag der Branche auf Allgemeinverbindlicherklärung des Mindestlohns einstimmig zugestimmt. Damit steht einer Erstreckung der Rechtsverordnung durch das Bundesarbeitsministerium entsprechend den Regelungen im Arbeitnehmer-Entsendegesetz nichts mehr entgegen.

 

Quelle: Website Gerd Bollmann, MdB