ÖPP (K3, 13.06.2016)

Parteitag der SPD Bochum – 13. Juni 2016 – Jahrhunderthaus Bochum

Antragsnummer: K3
Antragsteller: SPD-Stadtbezirk Bochum-Ost
Betreff: ÖPP
SPD Stadtbezirk Bochum-OstDer Unterbezirksparteitag möge beschließen:

  1. Die Bochumer SPD unterstützt nachhaltig Projekte, die von Kommunen und Wirtschaftsunternehmen in gemeinsamer Verantwortung partnerschaftlich und kooperativ getragen werden. Sie lehnt es allerdings ab, dass Großprojekte im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorgeprivaten Unternehmen als ÖPP-Projekte alleine mit dem Ziel der Gewinnmaximierung als lukrative Investitionsprojekte überlassen werden. Deshalb fordert die SPD Bochum, insbesondere für den Bereich der Daseinsvorsorge, dass im Hinblick auf ÖPP-Projekte
    • zuvor eine Risikoabschätzung durch unabhängige Gutachter vorgenommen wird,
    • gewährleistet ist, dass die demokratisch gewählten Entscheidungsträger hinreichend Einfluss auf die Durchführung des Projektes erhalten,
    • Gemeinwohlaspekte im gleichen Maß Berücksichtigung finden wie bei der Durchführung des Projektes durch einen öffentlich-rechtlichen Träger
    • ÖPP-Projekte relevantes Kriterium für die Einhaltung der Schuldenbremse ist und
    • ÖPP-Projekte im kommunalen Bereich der Genehmigung der Kommunalaufsicht unterliegen

    Stattdessen müssen die Kommunen eine finanzielle Ausstattung erhalten, die es Ihnen ermöglicht, Investitionen aus eigener Kraft und ohne Zuhilfenahme von ÖPP und ähnlichen Finanzierungsmodellen zu stemmen. Die bisherigen Investitionshilfen reichen dazu nicht aus.

  2. Der Unterbezirksvorstand wird aufgefordert, einen dahingehenden Antrag auf dem Landesparteitag zu stellen.
  3.  
    Begründung:
    Unter Öffentlich-Privaten Partnerschaften (ÖPP) oder Public-private-Partnership (PPP) wird die langfristige, vertraglich geregelte Zusammenarbeit von öffentlicher Hand und Privatwirtschaft bei der Realisierung von Aufgaben aus dem öffentlichen Bereich verstanden. Die öffentliche Hand legt fest, welche Dienstleistungen und Infrastruktur sie benötigt, Private Unternehmen bieten diese im Wettbewerb untereinander an. Planung, Finanzierung, Bau, Unterhaltung, und Betrieb werden dann durch den privaten Partner erbracht. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Privaten bringen Know-how, Erfahrung und Kreativität ein. Die öffentliche Hand erhält die benötigten Dienste schnell, kostengünstig und in sehr guter Qualität. Häufige Beispiele für ÖPP finden sich im Bereich Planung, Bau und Sanierung von Gebäuden einschließlich Finanzierung und späterem Betrieb für 25 bis 30 Jahre.
    Bei zunehmender Finanzknappheit von Bund, Ländern und Gemeinden und der verfassungsrechtlich verankerte Schuldenbremse einerseits und dem immer deutlich werdenden Sanierungsstau an öffentlichen Straßen, Gebäuden und die Schaffung eines ökologischen Energienetzes und digitaler Infrastruktur andererseits (man spricht von einer Investitionslücke von 80 Milliarden Euro pro Jahr +118 Milliarden Euro bei den Kommunen ), scheint ÖPP der Lösungsansatz schlechthin zu sein.
    Vergangenen August hat Wirtschaftsminister Gabriel eine Expertenkommission eingesetzt. Sie soll eine Blaupause liefern, wie sich private Finanziers stärker an der Aufrechterhaltung der deutschen Infrastruktur beteiligen lassen. Presseberichten zur Folge will die Kommission Revolutionäres vorschlagen: Sie plant, ÖPP-Fonds zu schaffen, in denen über Gemeindegrenzen hinweg kommunale Bauprojekte gebündelt werden. An diesen Fonds können sich Versicherungen und andere institutionelle Anleger beteiligen. Darüber hinaus soll es aller Wahrscheinlichkeit nach einen „Bürgerfonds“ geben, durch den sich auch Privatanleger direkt an Infrastrukturprojekten beteiligen können. Die Kommission plant zudem die Gründung einer privaten Verkehrsinfrastrukturgesellschaft für den Bau von Auto-bahnen.
    Die Kommissionspläne scheinen auf den ersten Blick vier zentrale Probleme auf einen Schlag zu lösen:

    • Ohne höhere Staatsverschuldung und Einhaltung der Schuldenbremse wird die chronische Unterfinanzierung der deutschen Infrastruktur behoben
    • Bauprojekte können in privater Hand schneller und kostengünstiger realisiert werden (ÖPP-Deutschland geht nach Presseberichten von 13,7 Prozent aus)
    • privaten sowie öffentlichen Investitionen, die den Arbeitsmarkt und dass Wirtschaftswachstum beeinflussen werden erhöht,
    • Versicherungen, die unter den Niedrigzinsen leiden, erhalten neue Anlagemöglichkeiten

    Die Berichte der Rechnungshöfe um ÖPP zeichnen aber ein anderes Bild. Die versprochenen Kostenvorteile seien „häufig zu hoch ermittelt oder nicht schlüssig nachgewiesen“, heißt es in einem gemeinsamen Erfahrungsbericht der Rechnungshöfe aus dem Jahr 2011. Im Vergangenen Jahr wurde diese Bewertung durch ein vernichtendes Urteil des Bundesrechnungshof betreffend der privaten Autobahnausbauten ergänzt: 1,9 Milliarden Euro habe das Verkehrsministerium auf allein fünf von inzwischen 17 Strecken verloren. Statt bis zu 40 Prozent zu sparen, wie vom Ministerium behauptet, würden einzelne Projekte bis zu 46 Prozent teurer als bei einer rein staatlichen Beschaffung.
    Ein weiterer Blick in die Berichte der Rechnungshöfe der Länder zeigt, wie schlecht viele der Projekte auf kommunaler Ebene bisher liefen. Denn es ist nicht nur die Elbphilharmonie in Hamburg, immerhin Siegerprojekt beim „Innovationspreis-PPP 2007″, deren Kosten aus dem Ruder laufen. Es sind auch viele kleinere Vorhaben, bei denen offenbar falsch kalkuliert wurde. Etwa bei Sanierung und Betrieb des Südbads Trier. Die rheinland-pfälzische Stadt versprach sich, mit der ÖPP-Variante 750.000 Euro einzusparen. Doch laut Landesrechnungshof zahlen die Bürger nun sogar 3,2 Millionen Euro mehr, als wenn das Projekt in städtischer Hand geblieben wäre.
    Beim Neubau einer Berufsschule in Pforzheim sollten fast zwölf Millionen Euro durch die private Lösung gespart werden, stattdessen wird es nun 1,3 Millionen teurer. Bei beiden Projekten waren die ursprünglichen Wirtschaftlichkeitsgutachten laut Rechnungshof fehlerhaft.
    Insgesamt lässt sich die Wirtschaftlichkeit von ÖPP-Projekten kaum beurteilen. Denn die hochkomplexen Vertragswerke sind bis auf wenige Ausnahmen ebenso wenig einsehbar wie die Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen. Private Geschäftsgeheimnisse lassen die in einer Demokratie im öffentlichen Bereich stets einzuhaltende Transparenz vermissen.
    Fest steht nur, dass ÖPP für Privatunternehmen nur interessant ist, wenn eine lukrative Rendite zu erwarten ist. Nach Aussagen der Privatwirtschaft muss beim Einsatz von Eigenkapital schon etwa sieben Prozent, bei riskanten Investments auch mehr“, sagte der Chef der Allianz Lebensversicherung. Wenn öffentliche Institutionen – wie die Europäische Investitionsbank (EIB) bei der A7 – für einen Teil der Risiken einspringt, darf es auch weniger sein. Im aktuellen Marktumfeld gilt eine Rendite von drei Prozent als Richtschnur. Aber auch das scheint noch zu hoch: Der Staat könnte sich aktuell auf 30 Jahre zu gerade mal 0,9 Prozent refinanzieren.
    Bei ÖPP ist also äußerste Vorsicht geboten: Die Schuldenbremse begrenzt die staatliche Neuverschuldung im Interesse eines nachhaltigen und tragfähigen Staatshaushalts. Anders als Kredite zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben werden die langjährigen Zahlungsverpflichtungen aus ÖPP Verträgen jedoch nicht als Kredite im Sinne der Schuldenbremse erfasst. Dabei treten die langjährigen Zahlungsverpflichtungen aus ÖPP Verträgen an die Stelle von Zins und Tilgungslasten im Fall der konventionellen Realisierung und belasten künftige Haushalte in gleicher Weise.
    Aber nicht nur in finanzieller Hinsicht wirft ÖPP kritische Fragen auf. Ausgehend von der Frage, warum ÖPP günstiger sein soll als Daseinsprojekte, die der Staat selbst durchführt, stößt man auf ungleiche Rahmenbedingungen im Wettbewerb zwischen staatlicher Realisierung und ÖPP. Während private Unternehmen nur die Gewinnmaximierung als Maßstab haben, hat der Staat das Gemeinwohl zu berücksichtigen und die Interessen jener Menschen wahrzunehmen, die ihre Bedürfnisse nicht oder nur unzureichend durch ihre Kaufkraft nachfragen können. Allein beim Vergabeverfahren ist nicht nur der günstigste Preis, sondern auch die Transparenz des Verfahrens und die Berücksichtigung von „weichen Faktoren“ wie z.B. Inklusion, Gendermainstream und Ökologischen Maßstäben.
    Letztlich stellt sich die Frage, ob zum Schluss die Entscheidung über öffentliche Investitionen zur Daseinsvorsorge immer noch vom demokratisch gewählten Souverän, oder aber von privaten Investoren getroffen wird. Sobald ein ÖPP-Vertrag geschlossen wird, hat die öffentliche Hand nur noch bedingt Einfluss auf die Fertigstellung und Endabnahme. Kosten werden auf zukünftige Generationen verlagert. Deren zukünftiger Investitionsspielraum wird schon Jahrzehnte vorher eingeschränkt.