Wir alle sind in unserem Lebensverlauf auf die fürsorgliche Zuwendung und Versorgung anderer angewiesen. Gesundheit, Wohlbefinden, Lebensqualität und gesellschaftliches Miteinander hängen davon ab.
Diese Care-Arbeiten werden vor allem von Frauen und Mädchen getragen – unbezahlt oder unterbezahlt. Dadurch bleibt ihnen weniger, manchmal gar keine Zeit für Erwerbsarbeit, zur Aus- und Fortbildung. Und sie verfügen deshalb über weniger oder kein eigenes Einkommen. Weltweit übernehmen Frauen täglich mehr als 12 Milliarden Stunden unbezahlte Sorgearbeit (Oxfam-Studie 2020). Würden diese auch nur mit dem Mindestlohn bezahlt, wäre diese Summe 24 Mal größer als der Umsatz der Tech-Riesen Apple, Google und Facebook zusammen.
Der Care-Sektor ist der größte Wirtschaftszweig, und die bezahlte Pflege- und Fürsorgearbeit wird weltweit zu zwei Dritteln von Frauen geleistet. In Deutschland ist der Frauenanteil sogar noch höher: 2019 lag er in den medizinischen Berufen, im Rettungsdienst und in der Pflege bei 84,2%, in der Kinderbetreuung sogar bei 89,6% (Bundesagentur für Arbeit 2019).
Am deutlichsten wird die Schlechterstellung von Frauen beim Blick auf die Rentenlücke. Bis zu 75% der heute 35- bis 50-jährigen Frauen werden eine gesetzliche Rente beziehen, die unter dem jetzigen Hartz-IV-Niveau liegt (Boll 2016). Die ungleiche Verteilung und systematische Abwertung von Care-Arbeit schafft folglich eine Ungleichheit in Einkommen, Vermögen, Zeit und Einfluss zwischen Männern und Frauen, und sie vertieft die bestehende globale Ungleichheit zwischen Arm und Reich: Männer besitzen weltweit 50% mehr Vermögen als Frauen.
Wir laden alle Menschen ein, die beruflich, im Privaten oder ehrenamtlich Sorgeverantwortung übernehmen, gemeinsam für einen grundlegenden System- und Wertewandel zu kämpfen und sich mit diesem Ziel zusammen zu schließen. Wir fordern all diejenigen auf, die zur Zeit deutlich spüren, wie sehr sie persönlich von der Sorgearbeit anderer profitieren, Care nicht länger finanziell und ideell klein zu reden, sondern sich solidarisch zu zeigen, indem sie den überfälligen Kampf für mehr Sorgegerechtigkeit auch über die Coronavirus-Pandemie hinaus unterstützen. Care-Arbeit ist nicht nur systemrelevant, sie ist das Fundament unseres Systems! Es kann nicht darum gehen, nach der Pandemie ein System wiederherzustellen, das den aktuellen Herausforderungen nur sehr bedingt gewachsen ist und das un- sowie unterbezahlte Care-Arbeit nicht ausreichend anerkennt.
Als ASF-Bochum unterstützen wir das Manifest und fordern insbesondere von der Bundesregierung, die bestehenden Gesetze und Vereinbarungen endlich umzusetzen und sich weltweit für die ideelle und finanzielle Anerkennung und eine faire Verteilung von Sorgearbeit stark zu machen. Care- und Klimakrise sowie die aktuellen Erfahrungen der Coronavirus-Pandemie müssen Anlass sein, das heutige Wirtschaftsmodell gründlich zu überdenken und nachhaltig zu verändern!
Auszüge aus den Forderungen:
- Die Entwicklung einer zusammenhängenden Strategie sowohl zur höheren Wertschätzung unbezahlter Sorgearbeit als auch zur Neubewertung und finanziellen Aufwertung von Care-Berufen (SAHGE-Berufen).
- Die Einführung einer finanziell abgesicherten Familienarbeitszeit und von flexiblen Zeitbudgets für geleistete Care-Arbeit für Kinder, kranke und hilfebedürftige Angehörige, gekoppelt mit einer echten Entgeltleistung (Sorgegeld, z.B. in Höhe des Elterngelds).
- Investitionen in allgemeine Kinderbetreuung, die Betreuung älterer Menschen und die Pflege von Menschen mit Behinderungen sowie der universelle Zugang zu gebührenfreier öffentlicher Bildung, Gesundheitsversorgung, dem Zugang zu Wasser, sanitären Einrichtungen und häuslichen Energiesystemen muss von Regierungen weltweit sichergestellt werden.
- Die konsequente Durchsetzung bestehender Gesetze und Leitlinien auf Landes- und Bundesebene insbesondere der Pflege-Charta des BMFSFJ, der UN-Behindertenrechtskonvention und der Empfehlungen des Zweiten Gleichstellungsberichts der Bundesregierung sowie das ‘Nationale Gesundheitsziel. Gesundheit rund um die Geburt sowie die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz wie im Koalitionsvertrag vorgesehen.
- Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern unter Berücksichtigung des ursächlichen Zusammenhangs von PayGap und CareGap. Umsetzung der gesetzlich vorgeschriebenen Lohntransparenz.
- Übernahme von Care-Verantwortung durch privatwirtschaftliche Unternehmen. Es braucht anerkennende Maßnahmen und Leistungen, mit der private und innerbetriebliche Sorgearbeit honoriert und der Lebensunterhalt und die Gesundheit von Sorgetätigen gesichert wird.
- Bessere Arbeitsbedingungen in allen Care-Berufen, also zum Beispiel verlässliche Personalbemessung, keine Verdichtung durch Renditeorientierung, Ausbildungsvergütung.
- Abkehr von Fallpauschalen und die Berücksichtigung von Folgekosten / Spätfolgen, die durch unterlassene oder unzureichende Care-Arbeit unter Ökonomisierungsdruck, entstehen. Einpreisung lebenslanger Folgekosten, deren Höhe also nicht in der Verantwortung Einzelner liegt, sondern in der strukturellen Vernachlässigung von Care.
- Einfacher und legaler Zugang für alle zu haushaltsnahen Dienstleistungen durch Einführung von subventionierten Gutscheinen (wie es bereits im aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung festgeschrieben ist!), um auch Haushalte mit mittleren und geringen Einkommen zu erreichen und zertifizierte Dienstleistungsbetriebe zu stärken.