Die Jugendorganisation der Bochumer SPD kritisiert die geplante Transformation des Faches SoWi zu Wirtschaft-Politik.
Die schwarz-gelbe Landesregierung plant die Sozialwissenschaften durch das Fach Wirtschaft-Politik zu ersetzen. Unterrichtsschwerpunkt wird der Teilbereich Wirtschaft sein, so Bildungsministerin Gebauer (FDP). Ziel sei es, dabei das wirtschaftliche Verständnis der Abiturientinnen und Abiturienten zu stärken. Die Änderung betrifft die Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Oberstufe.
Kritik kommt derzeit von verschiedenen Gewerkschaften, Verbänden und den Oppositionsparteien in NRW.
„Der Gesetzentwurf der schwarz-gelben Landesregierung stößt bei uns auf Unverständnis,“ sagt Vince Schlinkmann (SPD), Sprecher der Juso Schüler*innen und Auszubildenden in Bochum. „Das Gesetz verkennt, dass politische Bildung viele verschiedene Teilbereiche hat. Besonders deutlich wird das an der geplanten Reform für angehende Lehrerinnen und Lehrer des neuen Fachs“, beklagt Schlinkmann.
Momentan studieren Lehrkräfte Sozialwissenschaften mit den Teilbereichen Politikwissenschaft, Wirtschaftswissenschaft und Soziologie. Dies soll sich in Zukunft ändern.
Vince Schlinkmann (SPD) erklärt die kommenden Änderungen wie folgt: „Im Kern würde der Anteil der Wirtschaftswissenschaften auf Kosten der Soziologie erhöht und somit würde die kritische Auseinandersetzung mit der Gesellschaft den Schülerinnen und Schülern verwehrt bleiben.“
Auch die Ruhr Universität Bochum wird ihren Studiengang Politik, Wirtschaft, Gesellschaft anpassen müssen, wenn der Entwurf wie geplant umgesetzt wird. Die Jusos Bochum befürchten, dass die erforderlichen Änderungen die Multiperspektivität des Studiums stark verringern würde.
„Die Analyse gesellschaftlicher Strukturen sowie die Funktion des Zusammenlebens muss Bestandteil der politischen Bildung bleiben,“ sagt der stellvertretende Vorsitzende der Jusos Bochum Jan Eric Wolf (SPD). „Wie sollen Schülerinnen und Schüler die Bedeutung von Demokratie lernen, wenn sie sich nicht kritisch mit der Gesellschaft auseinandersetzen? Wir Jusos sind der Auffassung, dass mündige Bürgerinnen und Bürger reflexive Fähigkeiten erlernen müssen. Das alles ist jedoch das Wesen der Soziologie. Das scheint Ministerin Gebauer zu verkennen.“
Der SPD-Nachwuchs fordert durchaus, dass Schulabgängerinnen und Schulabgänger ein wirtschaftliches Grundverständnis mitbringen, so Schlinkmann. Dem Sprecher der Juso Schüler*innen sei allerdings unklar, warum die schwarz-gelbe Landesregierung dazu eine Gesetzesänderung anstrebt. „Die Änderungen am wirtschaftlichen Inhalt werden im Kern minimal sein. Das kritische Gesellschaftsverständnis leidet. Für uns betreibt Ministerin Gebauer mit dem Gesetzesentwurf Wahlkampf, um den wirtschaftlichen Markenkern der FDP zu betonen.“
Im Vorfeld der Änderungen kam es zu Verwirrungen unter angehenden Lehrerinnen und Lehrern, ob Sie wie geplant nach ihrem Referendariat das künftige Fach unterrichten dürfen. Auslöser war ein Interview in der Wirtschaftswoche mit Staatssekretär Mathias Richter (FDP). In dem Interview betonte er, dass ein Zertifikatskurs für Lehrerinnen und Lehrer notwendig sei um das neue Fach Wirtschaft-Politik unterrichten zu dürfen.
Jan Eric Wolf (SPD) kritisiert Schulministerin Gebauer (FDP): „Es ist Ihre Aufgabe in Zeiten des Personalmangels den Beruf des Lehrers bzw. der Lehrerin attraktiver zu gestalten. Stattdessen hat sie in der Corona-Krise nichts Besseres zu tun, als Lehrerinnen und Lehrern zusätzliche Steine in den Weg zu legen und Unsicherheiten unter angehenden Lehrerinnen und Lehrern zu schüren. Das ist verantwortungslos.“
In der Zwischenzeit hat das Schulministerium NRW auf seiner Website reagiert und klargestellt, dass Studierende der Sozialwissenschaften in den Schuldienst eintreten können. Darüber hinaus betont nun das Ministerium: „Bereits ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer mit dem Studienfach Sozialwissenschaften und einer entsprechenden Lehrbefähigung haben alle nötigen Voraussetzungen, das neue schulische Fach „Wirtschaft-Politik“ fachgerecht zu unterrichten. Eine weitere Qualifizierung ist nicht notwendig. Unabhängig davon steht allen Lehrkräften die Möglichkeit zur Fortbildung offen.“
„Die kürzliche Stellungnahme des Ministeriums ist ein Eingeständnis dafür, dass man die Reichweite der geplanten Änderungen unterschätzt hat. Die Tatsache, dass auf einmal nicht von verpflichtenden Zertifikatskursen, sondern von freiwilligen Fortbildungen die Rede ist unterstreicht nur das dilettantische Vorgehen der Ministerin“, kontert Jan Eric Wolf (SPD).
Der Unmut über die geplanten Änderungen wächst im gesamten Bundesland. Es gibt eine Petition gegen die geplanten Änderungen. Die Jusos Bochum unterstützen die Petition, welche Kalle Huner ins Leben gerufen hat: http://chng.it/6jMGt99Jjm.
Warum ausgerechnet die FDP-Schulministerin Gebauer die Soziologie aus den Lehrplänen verbannen will bleibt unklar. Besonders widersprüchlich ist die geplante Änderung, wenn man bedenkt, dass große FDP-Politiker wie der ehemalige Staatsminister Ralf Dahrendorf die Soziologie studiert haben und die moderne Wissenschaft maßgeblich geprägt haben.